Zen Garden
(von Wolf Kampmann)
Braucht Musik einen Ort, an dem sie entstehen und sich ausbreiten kann, oder entwirft sie selbst die Topografie, innerhalb derer sie sich verortet? Der junge deutsche Saxofonist Max Treutner tendiert eindeutig zur zweiten Annahme, denn auf seinem neuen Album führt er uns in Zen Garden, der nur durch seine musikalische Vision existiert. Mit einem hingebungsvollen Sinn für Bewegung und Detail entführt er seine Hörerschaft aus ihrem jeweiligen Alltag an diesen besonderen Schauplatz, um den immerwährenden Trott mit all seinen Sorgen und Konflikte abzuwerfen, durch eine Luke zu schlüpfen und sich einfach im Sog der Musik fallenzulassen. Vom ersten bis zum letzten Ton lebt Treutners Album von einer beispiellosen inneren und äußeren Gelassenheit. „Zen Garden“ ist eine Einladung, den vier Musikern auf dem Album so viel Vertrauen entgegenzubringen, um aus einem passiven Hörvergnügen ein aktives Moment der Sensibilisierung und Fokussierung zu machen.
Zudem lässt Max Treutner seine Hörer an der Erfüllung eines Traumes teilhaben, und das nicht nur im übertragenen, sondern im wörtlichen Sinne. In seinen Visionen gehen Lebenserfahrung und das Vertrauen ins Undenkbare eine im besten Sinne des Wortes muntere Verbindung ein. Mit Gitarrist Silvan Joray arbeitet er nicht nur schon seit vielen Jahren zusammen, die beiden Überzeugungstäter haben auch zusammen studiert und lange Zeit in einer Wohngemeinschaft gelebt. Mehr Symbiose geht kaum. Diese osmotische Vertrautheit springt aus jeder Phrase, jedem Unisono, jedem Dialog, jeder Emphase und jedem Innehalten auf dieser Platte. Für Treutner schafft Joray einen Ruhepol und einen Rahmen der Sicherheit. Soviel zur Erfahrung. Doch dann kam der Traum ins Spiel. Mit Bassist Matt Penman und Drummer Jochen Rückert hat sich Treutner einer der versiertesten Rhythmusgruppen des zeitgenössischen Jazz versichert. Von den beiden nimmersatten Routiniers erhoffte sich der Newcomer einen kreativen Input, der aus seinen Stücken etwas völlig anderes macht, als er selbst ursprünglich geplant hat. Und das Ergebnis gibt ihm in jeder Hinsicht recht.
Auf diese Weise kommt es zu einem Dialog der Generationen. Mit ihrer jahrzehntelangen Erfahrung im Jazz auf beiden Seiten des Ozeans lassen Rückert und Penman, hierzulande vor allem bekannt als Rückgrat von Nils Wograms Band Root 70, den beiden wesentlich jüngeren Solisten die Leine lang. Sie spannen ihnen ein elastisches Netz, auf dem sich Treutner und Joray nach Belieben auslassen können. Die beiden Youngster wiederum fangen die Eleganz der beiden Elder Statesmen kongenial auf, indem sie sich niemals zu Egotrips hinreißen lassen, sondern stets jene augenzwinkernde Ruhe bewahren, die den Grundton des Albums ausmacht. „Jochen und Matt waren schon vor Corona-Zeiten meine Dream-Section“, konstatiert der Bandleader. „Ich wollte mir bereits nach meinem Studium eine besondere Herausforderung stellen und fühlte mich von Root 70, aber auch durch den Vibe und das Feeling vieler anderer Produktionen, an denen sie beteiligt waren, stark inspiriert. Ich wusste, mit diesem Duo will ich das machen. Dann kamen Corona und andere Hindernisse dazwischen, aber für das neue Album hat es endlich geklappt. Damit ging für mich wirklich ein Traum in Erfüllung. Durch Matt und Jochen haben wir plötzlich ganz anders gespielt als zuvor. Durch die Beiden haben Silvan und ich uns vielleicht ein bisschen mehr zurückgehalten und vieles weggelassen, was wir auf einmal als unnötig erachten konnten.“
Dabei kommt Treutner und Joray zu keinem Zeitpunkt ihre sympathische Verspieltheit abhanden. Die Songs des Quartetts sind von einer beeindruckenden Unbekümmertheit, als würde jemand einfach nur den Wasserhahn aufdrehen und dabei zuschauen, wie es läuft. Treutner hat durchaus lange und intensiv an den Kompositionen gearbeitet, doch nicht zuletzt aufgrund des weitreichenden Fundus‘ der Rhythmusgruppe können er und seine Gespielen im geeigneten Augenblick loslassen und Raum für Neues und Unerwartetes zulassen. Alle Vier gehen auf eine Entdeckungsreise und nehmen ihre Hörer mit. Treutner selbst vergleicht seine Kompositionen mit einer Spielwiese, auf der er für die Bandmitglieder Spielsachen auslegt, die jeder für sich ergreifen und etwas damit machen kann.
Zwar ist Max Treutner der Bandleader, Komponist und auch Konzeptgeber von „Zen Garden“, doch Gitarrist Silvan Joray hat mindestens genauso viele Anteile an Spiel, Sound und Gestaltung der Songs. Viele der Kompositionen haben schon eine längere Geschichte und sind zumeist mit und für den Gitarristen entstanden. Die traumwandlerische Leichtigkeit im Miteinander macht die Interaktion dieses dynamischen Gitarren-Saxofon-Duos mit zum Besten, was es in dieser Hinsicht aktuell auf der weltweiten Jazz-Szene gibt. Vorsicht vor abgegriffenen Superlativen, aber man muss wirklich nur wenige Takte des Albums hören, um für diese Behauptung Bestätigung zu finden. „Silvan ist ein Musiker mit der Bereitschaft, sich auf jedes Stück akribisch vorzubereiten und mit Hingabe einzulassen“, schwärmt Treutner. „Ich liebe die Sanglichkeit seines Gitarrenspiels und seine Fähigkeit, spontan Melodien zu erfinden. Er spielt nicht einfach nur Licks runter, sondern verlässt sich auf sein Gehör. Dabei entsteht immer etwas Neues. Noch vor Beginn der Aufnahmen organisierte er für mich Dutzende von Sessions mit anderen Musikern, damit wir das Material proben und ausprobieren können. Davon profitierte natürlich unser Zusammenspiel.“
Die Aufnahmen für „Zen Garden“ entstanden an einem Ort, den man vielleicht am allerwenigsten mit einem Hort der Ruhe und Gelassenheit assoziiert, in New York. Da außer Treutner selbst alle Beteiligten an dem Album in New York leben, stand es für den Saxofonisten außer Frage, für die Aufnahmen auf den Big Apple zu fliegen. Treutner blieb insgesamt sechs Wochen in New York, um sich auf die Stadt einzulassen, sie zu absorbieren und auf seine ganz eigene Weise in seine Musik zu integrieren. New York war für Treutner kein unbekanntes Pflaster, aber sich auf so intensive Weise auf Dynamik und Lebensart dieser für den Jazz so wichtigen Stadt einzulassen, war dann doch nochmal eine ganz besondere Erfahrung.
Kommt und hört! … Mehr kann man zu diesem Album kaum sagen. Denn „Zen Garden“ ist ein Suite, die für sich selbst spricht. Mehr als dies ist „Zen Garden“ aber das Versprechen in die Zukunft eines Musikers, der gerade erst Witterung aufgenommen hat, um noch mehr, viel viel mehr erwarten zu lassen.